12. Februar 2024

Ex-Oxford-Professor: «Schweizer Elite hat grosse Lücken bezüglich Staatskunde»

Föderalismus, halbdirekte Demokratie, Bürgerstaat und ein Bewusstsein für Wettbewerb: Das macht die Schweiz aus. Doch genau dieser gesellschaftliche Kitt bröckelt im Land – sagt der Ex-Oxford-Geschichtsprofessor Oliver Zimmer in einem Interview mit der «NZZ». Vorbei scheinen die Zeiten, als das Stimmvolk die «6 Wochen Ferien für alle»-Initiative (2012) abschmetterte, weil es die Mehrausgaben dahinter erkannte.

Das Grundproblem: Die Eliten haben vergessen, welchen Faktoren die Schweiz ihren Erfolg verdankt, wie der Research Director des Zürcher Forschungsinstituts Crema argumentiert: «Man sieht nicht mehr, dass unsere Flexibilität zu Rahmenbedingungen geführt hat, die oft besser sind als in der EU. In der Schweiz gibt es Steuerkonkurrenz, in der EU dominiert die Subventionskultur», sagt Zimmer. Umso mehr wundert er sich, dass aus der Wirtschaft nicht mehr Widerstand kommt. Hart ins Gericht geht er auch mit der politischen Elite, bei der er «grosse Lücken» bezüglich Staatskunde und Geschichte ausmacht. Zum Beispiel müsste das Parlament mit Blick auf das institutionelle Abkommen mit der EU jetzt «ernsthaft debattieren über die Grenzen seiner Macht und seine Verpflichtung gegenüber jenen, die es repräsentiert».

Was, wenn es der Politik gelingt, das EU-Abkommen unter Dach und Fach zu tricksen? Für Zimmer ist klar: «Es käme zu einem massiven Souveränitätsverlust und zu einer weiteren Erosion des Gesellschaftsvertrags.» Eine automatische Rechtsübernahme mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) sei nicht kompatibel mit den Schweizer Institutionen. Die Schweiz verlöre ihre Flexibilität. Und sie würde offenkundig einen EU-Beitritt ansteuern.

«Wenn die Schweiz anders abstimmen würde, als dies die EU will, würde Brüssel – sekundiert vom Schweizer Parlament – die Daumenschrauben anziehen.» Welche Lösungsansätze sieht Zimmer? Zum einen wäre es die Aufgabe der Politik, den Zugewanderten die Stärken des Schweizer Gemeinwesens zu erklären, statt diese selbst zu vernachlässigen. Zum andern hält er ein demokratisiertes Modell Singapur für eine Alternative zum EU-Zentrismus. «Wenn schon Weltoffenheit, dann bitte konsequent. Man holt sich die besten Leute weltweit, steuert die Zuwanderung selber, ohne Rücksicht auf den Pass der Bewerber.»