Wenn der Bundesrat mit Brüssel spricht, tritt er mit gesenktem Haupt auf. Ohne starke Argumente hofft er, ein paar Brosamen vom vermeintlich feudalen EU-Tisch zu erheischen.
Gegenüber dem Souverän, dem Schweizer Volk, fährt der Bundesrat dagegen schweres Geschütz auf. So präsentierte er gleich vier Studien, um allen klarzumachen, dass die Schweiz keine andere Wahl habe, als die Rahmenverträge mit der EU zu unterzeichnen.
Klar ist, dass uns die Studien einiges kosten. Doch was sind sie wert?
Reiner Eichenberger, Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, resümiert im «Nebelspalter»: Das Verhalten des Bundesrats «grenzt an Schindluderei». Doch sei es leider «in der Europapolitik nicht das erste Mal, dass der Bundesrat die Bevölkerung an der Nase herumführt».
Hier sind die wichtigsten Antworten auf Fragen, die sich aus den Studien ergeben.
Gemäss Studie soll das BIP bis 2045 um 4,9 Prozent sinken, wenn die Schweiz die Rahmenverträge mit der EU nicht unterzeichnet. Stimmt das?
Das Wichtigste zuerst: Der Wohlstand pro Kopf bleibt praktisch gleich hoch – das bestreitet die Studie nicht, wenn man sie richtig interpretiert. Sie geht aber davon aus, dass die Zuwanderung aus der EU ohne die Rahmenverträge sinkt. Jedes Jahr würden 20'000 Personen weniger in die Schweiz strömen. Damit wäre die Bevölkerung bis 2045 kleiner als mit der aktuellen Personenfreizügigkeit. Weniger Menschen und weniger Grenzgänger in einem Land bedeuten automatisch ein kleineres BIP.
Die Studie behauptet, dass das Kapitaleinkommen um rund 5 Prozent sinkt. Richtig?
Gemäss Eichenberger ist das nicht relevant, weil die Studie nur das Inland berücksichtigt. Eichenberger: «Wenn es aber im Inland ohne EU-Verträge weniger Investitionsmöglichkeiten gibt, weil es weniger Menschen hat, dann wird halt mehr Kapital der Schweiz im Ausland investiert. Entsprechend fliesst vom Ausland mehr Rendite zurück, was den Rückgang des inländischen Kapitaleinkommens praktisch vollständig kompensiert.»
Kostet uns der Wegfall des EU-Vertragspakets der Bilateralen I wirklich 2500 Franken pro Kopf und Jahr?
Nein. Die Studie betont diesen «Verlust» zwar. Für Eichenberger ist er aber nur «ein billiger statistischer Trick».
Weisen die Prognosen des Bundesrats weitere Mängel auf?
Ja. Es gibt unzählige Faktoren, welche die Arbeitseinkommen bis 2045 stärker beeinflussen als die Rahmenverträge mit der EU. Zudem fokussieren die Studien des Bundesrats nur auf den mutmasslichen Nutzen der Rahmenverträge. «In einer vernünftigen Diskussion über die Abkommen muss es aber sowohl um den Nutzen als auch die Kosten gehen», betont Eichenberger. Die Studien nehmen jedoch naiv an, dass es keine Kosten gibt. Dabei hat beispielsweise die Personenfreizügigkeit auch Schattenseiten: Verknappung und Verteuerung von Wohnraum, Infrastruktur, Schulleistungen, Spitalleistungen und Umweltgütern. Komplett blendet die Studie aus, dass die Schweiz sich ohne Rahmenverträge mit der EU bessere Wettbewerbsbedingungen geben und ihren Wohlstand pro Kopf längerfristig sogar ausbauen könnte.