Zollstreit mit den USA, Personenfreizügigkeit, EU-Binnenmarkt: In einem Interview mit der «NZZ» zerlegt Prof. Dr. Giorgio Behr, Co-Präsident von autonomiesuisse und Verwaltungsratspräsident der Behr Bircher Cellpack BBC Group, sieben Mythen, welche die Schweizer Politik antreiben. Wir bringen seine Aussagen zu verschiedenen Punkten im Originalton.
1. Die Wirtschaft braucht keine neuen EU-Rahmenverträge.
«Es bringt nichts, etwas zu verbessern, was im Grunde genommen überflüssig ist. Die Wirtschaft kann auf die neuen EU-Verträge verzichten.»
2. Für einen EU-Binnenmarkt zahlen, der gar nicht existiert?
«Die nicht tarifären Handelshemmnisse innerhalb der EU sind immer noch gross. Stellt die EU das Luftverkehrsabkommen infrage, würde sie primär die einzige Gewinnquelle der Lufthansa-Gruppe, die Swiss, belasten. Beim Landverkehr sitzt die EU am kürzeren Hebel. Deutschland hat die NEAT-Zubringerstrecken nicht gebaut und Abmachungen nicht eingehalten.»
3. Fachkräfte finden uns – solange wir attraktiv bleiben!
«Statt der prognostizierten 8000 Personen pro Jahr sind oft mehr als 80 000 gekommen. Leider saugt die stark wachsende Verwaltung Fachkräfte vom Markt ab. (…) Wir finanzieren an unseren Hochschulen die Ausbildung talentierter Leute aus Drittländern. Diese dürfen nicht in der Schweiz bleiben, wenn sie nicht sofort eine Stelle finden. Stattdessen holen wir lieber Leute aus der EU, mit weniger Potenzial. (…) Solange der Wirtschaftsstandort attraktiv bleibt, finden sich Fachkräfte, die hier arbeiten wollen.»
4. Schengen ist ein Schlagwort – keine Realität.
«Ich habe bei Dresden eine Firma. Gehen Sie mal an die Grenze zu Polen. Da ist Schengen heute weitgehend ausser Kraft gesetzt, wie auch an der Grenze zu Dänemark. Der freie Reiseverkehr ist schon an vielen Orten aufgehoben. Man sollte nicht immer damit drohen, dass die Schweiz alles verliere. Auch die EU würde vieles verlieren. Wir sollten selbstbewusster auftreten.»
5. Freihandelsabkommen schlägt «Bilaterale».
«Am wichtigsten ist für die Wirtschaft das Freihandelsabkommen von 1972, das nicht zum EU-Paket gehört. Dank diesem gibt es keine Zölle – das wird so bleiben. (…) Wird das Paket abgelehnt, geht es weiter wie bisher. Man wird feststellen, dass die Erosion der bilateralen Abkommen mehr Erzählung als Realität ist.»
6. Weltoffenheit statt EU-Scheuklappen.
«Europa hat wirtschaftlich an Bedeutung verloren, während Indien, China und südostasiatische Länder wichtiger geworden sind, wie auch die USA. Die Schweiz tut gut daran, sich weiterhin weltoffen zu positionieren. Die Wirtschaft muss international frei sein. Wenn wir bei internationalen Freihandelsverträgen plötzlich an das gebunden sind, was die EU sagt, ist das nicht gut.»
7. Bitte keine einseitigen Liebeserklärungen an Machtblöcke.
«Es wäre naiv, der EU um den Hals zu fallen, wenn die USA Druck machen – wie auch in die USA zu rennen, wenn uns die EU plagt. Wir müssen Abhängigkeiten aller Art abbauen und mit allen Weltregionen Handel treiben. (…) Wer grosse Umsätze in den USA hat, muss prüfen, dort eine Fertigung aufzubauen, statt in der Schweiz über den Fachkräftemangel und die Währungsprobleme zu jammern.»