24. April 2025

Exuniversitätsrektor: «Stimmrecht wird gravierend beschränkt»

Wenn Paul Richli den Rahmenvertrag mit der EU unter die Lupe nimmt, weiss er wovon er spricht. Als Professor für Staatsrecht, ehemaliger Vizedirektor des Bundesamts für Justiz und Exrektor der Universität Luzern agiert er an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Recht und Politik. Dabei äussert sich Richli allein aus rechtswissenschaftlicher Sicht – frei von politischen Interessen, wie er betont.

Veränderung der Schweizer DNA

Seine Analyse rüttelt dennoch auf. «Die EU-Verträge haben zweifelsohne eine ausserordentlich hohe Tragweite. Sie kommen zudem einer materiellen Verfassungsänderung gleich. Sie beschränken die Kompetenzen der Parlamente und Regierungen auf Stufe Bund und Kantone und beschränken auch das in der Verfassung garantierte freie Stimmrecht der Bürgerinnen und Bürger im Bund und in den Kantonen», erklärt Richli der «Aargauer Zeitung».

Anders als uns die Befürworter glauben machen wollen, sind die Rahmenverträge mit der EU keine Fortführung der «Bilateralen». Vielmehr verändern sie die DNA der Schweiz. Der Grund: Sie schränken das Stimmrecht des Volks und die freie Meinungsbildung «auf gravierende Weise» ein. Denn die Ausgleichsmassnahmen der EU schweben wie ein Damoklesschwert über den Entscheiden. «Auch die Kompetenzen der Parlamente und Regierungen auf Bundes- und Kantonsebene werden beschnitten», sagt Richli.

EU-Recht ist Blackbox

Wird EU-Recht abgelehnt, kann es demnach zu Ausgleichsmassnahmen kommen, welche «konkrete Vorteile der Abkommen zunichtemachen». Betroffen wären auch kantonale Kompetenzen, namentlich in den Bereichen Energie, Verkehr und Subventionen. Ausserdem unterschätzen wir eine wichtige Dimension, wie Richli argumentiert: «Wir wissen nicht, in welche Richtung sich die EU und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entwickeln. Das ist eine Blackbox. Es ist zum Beispiel denkbar, dass die kantonale Steuerhoheit unter die Räder kommt.» Die Bilateralen I und II seien dagegen statisch. Das gelte auch für Schengen, «dem einzigen Vertrag, bei dem die Schweiz EU-Recht dynamisch anpassen muss. Die Schweiz kann dort ohne das Risiko von Ausgleichsmassnahmen Nein sagen».

EU – keine zuverlässige Partnerin

Was hält der Staatsrechtler vom Schiedsgericht, das die Schweiz anrufen kann? Wenig. Für das Schiedsgericht ist nämlich «die Auslegung von EU-Recht durch den Europäischen Gerichtshof EuGH bindend. Zudem können wir unter dem heutigen Regime Gegenmassnahmen ergreifen, wenn uns die EU Nadelstiche versetzt, wie bei der Börsenäquivalenz». Das sei mit dem neuen Vertrag nicht mehr möglich. Mit Blick auf die Vergangenheit weist Richli schliesslich darauf hin, dass sich die EU nicht immer als verlässliche Partnerin erwiesen habe. Ein Teil der EU-Demokratien erscheine nicht mehr so stabil wie auch schon. Richli: «Das schlägt unter Umständen deutlich auf die EU durch und macht sie weniger berechenbar. Hinzu kommt die weitherum – nicht zuletzt von der Wirtschaft – kritisierte Regelungsflut.»