«Dear Livia», hat Juraj Nociar, Kabinettschef der EU-Kommission, im letzten Moment noch von Hand auf das Schreiben an die Schweizer Staatssekretärin Livia Leu hinzugefügt. Es bleibt die einzige freundliche Formulierung im harschen Brief mit Fragebogen, der kürzlich – wohl nicht ganz unbeabsichtigt – an die Öffentlichkeit gelangt ist, wie Dominik Feusi im «Nebelspalter» kommentiert. Darin zeigt die EU-Kommission der Schweiz vor allem eines: Sie will inhaltlich keinen Millimeter vom Rahmenabkommen abrücken. Sie beharrt weiterhin darauf, dass die Schweiz automatisch EU-Recht nachvollzieht. Zudem soll der europäische Gerichtshof das Recht auslegen und die Schweiz sich zu regelmässigen Kohäsionszahlungen verpflichten. Auch wenn der Bundesrat einen «vertikalen Ansatz» mit der EU anpeilt, pocht diese auf alle Bedingungen, die aus Sicht von autonomiesuisse rote Linien überschreiten und das Erfolgsmodell Schweiz gefährden. Der «vertikale Ansatz» ist also faktisch vom Tisch. Denn die EU möchte der Schweiz keinen Spielraum einräumen, wie ein «erfahrener Diplomat» meint. Vielmehr will sie den Bundesrat unter Druck setzen. Wie wird dieser reagieren? Knickt der Bundesrat nicht ein, muss Livia Leu die Forderungen der EU konsequent zurückweisen. Keine einzige Frage der EU kann sie einfach bejahen.