Noch immer ist die «NZZ» ein Seismograf der bürgerlichen Mitte. Und wenn sogar sie die Motive des Bundesrats hinterfragt, geht eine tektonische Verschiebung durch die Schweiz.
Im Klartext: Der Bundesrat steht immer einsamer da. Seine Auffassung, wonach die Rahmenverträge mit der EU kein Ständemehr brauchen, widerspricht dem Sinn und Geist der gelebten Schweizer Demokratie. Wie NZZ-Redakteurin Katharina Fontana aufzeigt, handelt der Bundesrat rein «politisch-taktisch». Hier sind ihre Argumente.
1. Die institutionelle Anbindung an die EU verändert die Schweiz. Mit den Rahmenverträgen muss die Schweiz automatisch EU-Recht übernehmen. Zwar könnte sie per Gesetzesreferendum aufmucksen, doch dann muss sie Sanktionen in Kauf nehmen. Die schon heute praktizierten Nadelstiche der EU geben einen Vorgeschmack. Freie Abstimmungen sehen anders aus.
2. Die EU-Rahmenverträge stehen über der Schweizer Bundesverfassung. Zwar dürfte das Schweizer Stimmvolk noch Volksinitiativen einreichen – doch umgesetzt würden sie nicht, wenn sie der EU nicht passen. Ein Muster davon hat bereits die Initiative gegen die Masseneinwanderung geliefert.
3. Die Konferenz der Kantonsregierungen KdK führt sich selbst ad absurdum. Die KdK nimmt für sich in Anspruch, für alle 26 Kantone zu sprechen. Doch wie die USA ist die Schweiz ein Bundesstaat, der aus unabhängigen Staaten, den Kantonen, entstanden ist. Kann es je in deren Interesse sein, wenn die KdK ihnen die Stimme in einer zentralen Frage entziehen will? Übrigens ist die KdK von Beamten gegründet worden. Sie verfügt über keinerlei demokratische Legitimation.
4. Der Zeitgeist wandelt sich, die Institutionen bleiben. «Der Föderalismus und die direkte Demokratie sind die zwei Charaktermerkmale der Schweiz schlechthin, sie machen das Land verlässlich und bürgernah», schreibt die «NZZ». So waren bürgerliche EU-Freunde zwar dankbar, dass die «Hinterwäldler vom Land» die Konzernverantwortungsinitiative versenkt hatten. Sie dulden aber keinen Widerspruch, wenn sie die Schweiz «modernisieren» und die Gesetzgebung nach Brüssel auslagern wollen.
5. Das Ständemehr bedeutet ein qualifiziertes Mehr. Bei der EWR-Abstimmung hatte der Bundesrat noch so viel Feingespür, dass er sie dem doppelten Mehr von Volk und Ständen unterstellte. Jetzt will er diese Klippen umschiffen, um die Schweiz an die EU zu docken. Dabei dürfte eine Volksmehrheit von 55 bis 58 Prozent ohnehin genügen, damit das Ständemehr erreicht wird, wie die «NZZ» schreibt. Das Ständemehr entspricht also einem qualifizierten Mehr.
autonomiesuisse meint: Wer für eine offene und faire Politik steht, muss eine Schicksalsfrage wie jene der Anbindung an die EU konsequenterweise so breit wie möglich demokratisch legitimieren.