Was bedeutet es wirklich, wenn der Bundesrat die EU-Rahmenverträge durchwinken kann? Katharina Fontana hat die Spielregeln für die «NZZ» analysiert.
Dabei wird schnell klar, dass uns der Bundesrat bisher Sand in die Augen gestreut hat. Grundsätzlich gibt es zwei Methoden, mit welchen die Schweiz das Recht «made in Brüssel» übernehmen muss – entweder per Äquivalenz- oder per Integrationsverfahren. Die EU wollte immer und ausnahmslos die Integrationsmethode durchsetzen. So verwundert es nicht, dass die Integration für die grosse Mehrheit aller Verträge gilt – auch für die politisch heikelsten wie die Personenfreizügigkeit und den Strom.
EU-Recht wird unmittelbar zu Schweizer Recht
Was ist der Unterschied? Bei der Integration darf die Schweiz das Recht aus Brüssel pro forma per eigenem Rechtsakt nachvollziehen. Mit der Integrationsmethode sind die EU-Paragrafen direkt rechtsgültig in der Schweiz. Selbst der Bundesrat gibt zu: «Diese Rechtsakte werden von der Schweiz grundsätzlich direkt angewendet, ohne dass sie in das Landesrecht überführt werden müssen.»
Ein Beispiel: Wenn das EU-Lebensmittelabkommen mit seinen 61 Rechtsakten plus Erlassen der EU-Kommission in Kraft tritt, muss die Schweiz den gesamten Regelungsapparat ohne Abstriche übernehmen – von den Vorschriften für den Haustiertransport bis zu pingeligen Bestimmungen für Marktstände.
Schrittweise Integration in die EU
Die Integrationsmethode bedeutet also: Integration der Schweiz in die EU. Darüber, dass fast die gesamte EU-Rechtsübernahme so funktioniert, schweigt sich der Bundesrat jedoch aus. «Im 931 Seiten dicken Vernehmlassungsbericht wird die Integrationsmethode diskret unter Ziffer 2.1.5.2.2 abgehandelt», schreibt die «NZZ».
Ausnahmen sollen nur gelten, wenn die Schweiz «verfassungsrechtliche Verpflichtungen» erfüllen muss. Damit sind wohl Fälle gemeint, in denen die EU dem Schweizer Recht offensichtlich widerspricht. Im besten Fall könnte die Schweiz eine Gnadenfrist von zwei Jahren für die Umsetzung herausholen, die sich bei einem Referendum nochmals um ein Jahr verlängert.
Wer vertraut noch dem Bundesrat?
Selbst bei kritischen Fragen sind es «der Aussenminister und die Bundesangestellten aus den federführenden Ämtern, die entscheiden, ob das Parlament und das Volk bei der Übernahme von EU-Recht einbezogen werden oder nicht», schreibt die «NZZ». Das überrascht nicht: Der Bundesrat sah sich auch beim UNO-Migrationspakt und beim WHO-Pandemievertrag als allein zuständig an. Damit das Parlament seine Mitsprache rechtzeitig einfordern kann, muss es genug früh wissen, was Brüssel im Schilde führt und auf die Schweiz zukommt.
Die «NZZ» resümiert: «Am Ende ist mitentscheidend, wie viel Vertrauen man in den Bundesrat, in die Diplomaten und in die Verwaltung hat.» autonomiesuisse ergänzt: Wer bisher wissen wollte, was wirklich auf die Schweiz zukommt, war besser beraten, gleich Brüssel zuzuhören – statt auf die rhetorischen «Beruhigungstabletten» der Bundesräte und Beamten zu warten. Vertrauen mag bequem sein, aber eine freiheitliche Rechtsordnung braucht die direktdemokratische Kontrolle mit wachsamen Politikern und Bürgern.
Und noch ein PS
Mit den EU-Verträgen würden Schweizer Gerichte, auch das Bundesgericht, mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gleichgeschaltet. Dass sich Gerichtsinstanzen gegenseitig absprechen, widerspricht jedoch dem Sinn und Zweck eines Rechtsstaats.
PPS: Am besten, Sie leiten diese Analyse in Ihrem Bekanntenkreis weiter.